Tag 3: Die Erfahrungswelt des Segens - der immaterielle Segen

Wir brauchen die grundlegende Versorgung mit allem Notwendigen. Aber damit ist es nicht getan. Die darüberhinausgehenden Bedürfnisse spüren wir in unterschiedlicher Form, zum Beispiel als Sehnsucht, Wünsche oder, ganz simpel, Langeweile. Die Erfahrung des Segens führt uns vor Augen, dass Leben nicht einfach nur „Überleben“ bedeutet.

Für die Bibel, besonders das Alte Testament, ist das Leben eine ganzheitliche Erfahrung. Der Mensch ist ein leibliches Wesen, er hat einen Körper und entsprechende Bedürfnisse. Aber zugleich hat der Mensch auch einen Geist, er macht sich Gedanken, will kognitiv herausgefordert und angesprochen werden und kennt tiefe, spirituelle Bedürfnisse. Und wir sind sozial, wir brauchen Beziehung und Nähe. Nehmen wir diese tieferen Ebenen einmal in den Blick.

Wann hast du spirituelle Bedürfnisse bei dir bemerkt? Und wie gehst du damit um?

Die immaterielle Erfahrung des Segens umfasst diese tieferen Dimensionen, die unser Leben auf vielfältige Weise prägen und bereichern. Wir erfahren diese Art des Segens zum Beispiel in innerem Frieden, Freude, Hoffnung und der Gewissheit, dass wir in einer Beziehung zu Gott stehen. Das ist es, was das Leben an sich „lebenswert“ macht.

Besonders deutlich wird das dann, wenn wir uns vor Augen führen, was ein Fehlen oder ein Mangel an diesen Dingen für unser Leben bedeuten würde. Denken wir nur an das Beispiel des Friedens. Im größeren Stil wird uns das in den Bildern aus der Ukraine, aus dem Nahen Osten oder Südostasien vor Augen geführt. Aber auch fehlender innerer Friede macht sich bemerkbar. Wir verspüren Rastlosigkeit oder Hoffnungslosigkeit, sehnen uns nach Zugehörigkeit und Verständnis. All das sind Erfahrungen, die zunächst mal über die körperliche Versorgung hinaus gehen und uns damit vor Augen führen, dass es „Mehr“ gibt.

Fallen dir persönliche Beispiele für diese Art der Segenserfahrung ein?

Der Segen wirkt oft in unserem Leben, ohne dass wir ihn wahrnehmen. Vieles bleibt im Verborgenen und trotzdem wäre es an vielen Stellen undenkbar, wenn er uns fehlen würde. Vermutlich ist das die spannendste Eigenschaft des Segens.

Wir kommen nun zu einem der zentralsten menschlichen Anliegen überhaupt: von unserem Umfeld gesehen und wahrgenommen zu werden. Warum das so zentral ist? Nun, ganz einfach. Stell dir vor, du müsstest umzuziehen und allein an einem unbekannten Ort leben. Keine Freunde, keine Familie. Niemand, der auch nur im Ansatz Notiz von dir nimmt.

Was macht diese Vorstellung mit dir?

Wir sind als Menschen elementar auf Beziehung angelegt. Vielleicht haben wir unterschiedliche Empfindungen über die Menge und die Intensität unserer Kontakte, aber wohl kaum jemand könnte ganz ohne Interaktion mit anderen Menschen auskommen. Denken wir aber an die Obdachlosen in unseren Innenstädten oder Waisen in Pflegeeinrichtungen, wird deutlich, dass Wahrnehmung und Interaktion keine Selbstverständlichkeiten sind. Andere Menschen zu übersehen oder im hektischen Alltag zu vernachlässigen, passiert schnell. In Deutschland leiden zwischen 10 und 30 Prozent der Bevölkerung an Einsamkeit, wobei ältere und jüngere Menschen davon gleichermaßen betroffen sind.

Segen zeigt sich in Gemeinschaft, in Begegnung und in den Momenten, in denen wir erleben, wie Menschen auf uns reagieren und mit uns interagieren. Wahrgenommen zu werden, einen Platz im Leben von uns und Anderen zu haben, das macht uns aus. Und eröffnet uns einen kleinen Eindruck vom Segen, den wir damit erfahren.

Autor: Patrick Iljen, Gemeindereferent Compassion Deutschland