Tag 2: Die Erfahrungswelt des Segens - der materielle Segen

Der Segen ist das Versprechen Gottes, das Leben zu erhalten und wachsen zu lassen, also in jeglicher Hinsicht „mehr“ zu werden. Die Frage ist natürlich, wie sich das in unserem Alltag zeigt. Kann der Segen greifbar werden? Können wir ihn herbeirufen oder zu etwas hinzufügen? Oder ist er am Ende doch eine unbekannte Größe, die im Verborgenen bleibt, ohne dass wir etwas davon mitbekommen? Alles berechtigte Fragen.

Versuch doch mal selbst, eine Antwort zu geben: Hast du schon mal Segen erfahren? Wenn ja, wie hat sich der Segen gezeigt?

Wenn wir darüber reden, was der Segen in unserem Leben bewirkt, dann ist es hilfreich, zu überlegen, was für unser Leben wichtig ist. Lasst uns mit dem Offensichtlichen beginnen. Zunächst ist der Mensch ein körperliches Wesen, das ganz selbstverständlich auch körperliche Bedürfnisse und Sehnsüchte erfährt. Das können Hunger und Durst sein, aber auch der Wunsch nach Nähe, nach körperlicher Unversehrtheit und vieles mehr. Diese Erfahrungen gehören zum Menschsein dazu und machen einen wesentlichen Teil unseres Lebens aus.

Nehmen wir das Beispiel des „täglich Brot“, um das wir im Vaterunser bitten. Segen beschreibt zunächst mal die Versorgung mit dem Brot selbst. Jeder, der schon mal Hunger erlebt hat, weiß sicherlich, was für eine segensreiche Erfahrung ein (gutes) Stück Brot sein kann.

Aber zum Genuss des Lebensmittels gehört noch viel mehr. Bis das Brot auf dem Teller landet, braucht es eine Unmenge an Arbeit. Die Aussaat und das Wachsen des Korns auf dem Feld, die Ernte des Landwirts, die Weiterverarbeitung durch den Müller, das Handwerk des Bäckers. Dazu die Beigabe (und Beschaffung) der weiteren Zutaten wie Hefe, Salz und Wasser, die ja auch von irgendwo kommen müssen. Und bei all dem haben wir noch nicht bedacht, dass das Korn darauf angewiesen ist, dass es auf nährstoffreichem Boden wächst, genügend Regenwasser bekommt und vor Schädlingen geschützt ist. Das alles für ein Stück Brot. Dass all diese Dinge entstehen, wachsen und zusammenkommen, ist das Wirken des Segens.

Mal unter uns: Schätzen wir eigentlich noch wert, was wir jeden Tag (fast) selbstverständlich zur Verfügung haben?

Wir reden hier von den sogenannten „Gütern des täglichen Bedarfs“: Lebensmittel, Wasser, Kleidung, ein Zuhause. Dinge, die den Grundstock des Lebens bilden und ohne die wir vermutlich gar nicht davon reden könnten, dass es überhaupt ein Leben ist.

Bei all diesen Dingen erleben wir in unserer Gesellschaft eine im wahrsten Sinne des Wortes überreiche Versorgung. Sie stehen uns wie selbstverständlich zur Verfügung, oft nur einen Handgriff oder ein paar Minuten Fußweg entfernt, dazu preiswert und in hoher Qualität. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass wir diese Dinge kaum noch als Segen wahrnehmen.

Dabei reicht ein kurzer Blick in die Welt, um vieles einzuordnen. Nach aktuellen Angaben leiden über 700 Millionen Menschen weltweit an Hunger, davon weit über 100 Millionen Kinder und Jugendliche. Mehr als 2 Milliarden Menschen haben keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Im Jahr 2023 kam es Teils zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, als die Arbeitskräfte der Textilbranche in Bangladesch für eine Anhebung ihres Mindestlohns protestierten. Sie hatten Erfolg, ihr monatliches Einkommen stieg von 68€ auf 108€. Ihre Kunden? Modemarken wie H&M, Adidas oder Hugo Boss. Also die Marken, die wir „wie selbstverständlich“ in unseren Fußgängerzonen finden.

Vielleicht nochmal ein Anstoß, um etwas bewusster wahrzunehmen, wie überreich wir eigentlich jeden Tag von Gott versorgt und beschenkt werden?

Autor: Patrick Iljen, Gemeindereferent Compassion Deutschland