Welchen Hunger stillt Fasten?

Bei der Verabschiedung einer sehr geschätzten Kollegin in den Ruhestand meinte jemand, er werde ihren „erfrischend anderen Blick auf die Dinge“ vermissen. Das war eine liebevolle Umschreibung für ihre Fähigkeit, kritische Punkte anzusprechen, den Fokus auf das Wesentliche zu lenken und dabei oft mit unerwarteten Lösungsvorschlägen zu überraschen.

Gott hat ebenfalls einen anderen Blick – einen Blick, der tiefer geht als unser eigenes Verständnis. In Jesaja 58 wird deutlich, dass Gott das Fasten Israels mit ganz anderen Augen sieht, als es die Menschen tun. Die Israeliten suchten Gottes Willen und unterstrichen ihr ernsthaftes Verlangen durch Fasten. Äußerlich sah das nach Hingabe aus, nach einem spirituellen Akt, der Gott gefallen sollte. Doch Gottes Perspektive deckt eine unbequeme Wahrheit auf: Ihr Fasten blieb ohne echte Veränderung im Herzen.

Während sie sich in Enthaltsamkeit übten, überhörten sie das Stöhnen der Unterdrückten und übersahen die Not der Schwachen. Sie suchten nach Gott, aber nicht nach Gerechtigkeit. Sie wollten gehört werden, doch sie hörten selbst nicht hin.

Fasten – das ist mehr als der Verzicht auf Nahrung. Es ist eine Einladung zur inneren Umkehr. Es geht nicht darum, mit leerem Magen, aber vollem Terminkalender durch den Tag zu hetzen. Es geht darum, sich von allem zu lösen, was unser Herz verschließt, und sich für das zu öffnen, was Gott wichtig ist: Gerechtigkeit, Mitgefühl, Versöhnung.

Micha 6,8 fasst es treffend zusammen: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts anderes als Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Jesaja beschreibt es konkret: „Löst die Fesseln der Ungerechtigkeit, gebt den Unterdrückten Freiheit, brecht jedes Joch!“ (Jesaja 58,6).

Gottes Herz schlägt für die, die im Schatten stehen. Sein Fasten hat die Kraft, Mauern zu durchbrechen – Mauern zwischen Menschen, aber auch Mauern, die unser eigenes Herz umgeben. Wenn wir beginnen, uns um die zu kümmern, die Hilfe brauchen, wenn wir das teilen, was wir haben, wenn wir Lasten von anderen mittragen, dann geschieht etwas Wunderbares: Das Licht bricht hervor wie die Morgenröte. Heilung fließt, nicht nur zu anderen, sondern auch in unser eigenes Leben (Jesaja 58,8).

Vielleicht fordert Gott heute auch dich heraus, Fasten neu zu denken. Wo ruft Er dich, die Augen zu öffnen? Wo gibt es einen Menschen in deinem Umfeld, der deine Hand, dein Ohr, dein Herz braucht? Vielleicht ist das Fasten, das Gott heute von dir möchte, nicht der Verzicht auf Brot, sondern der Verzicht auf Gleichgültigkeit. Und vielleicht wirst du gerade dadurch am tiefsten gesättigt.

Next Step: Bitte den Heiligen Geist dir heute neu zu zeigen, was Fasten für dich bedeutet.