Golden Rule: Kompass für schwierige ZeitenSample
Tag 2: Bei sich selbst anfangen (Römer 7,15; Sprüche 11,17)
„Mein ganzes Leben lang habe ich gedacht, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt.“ Die Autorin Tara Brach erzählt davon, wie die Mutter einer Bekannten diese Worte sagte und kurz darauf verstarb. Das sind tragische letzte Worte. Tragisch daran finde ich, dass sich so ein Grundgefühl offensichtlich über Jahrzehnte halten kann. Als „Gegengift“ zu so einem Selbstbild schlägt Brach „radikale Akzeptanz“ vor.
Gleich mal vorneweg: Worum es bei radikaler Akzeptanz NICHT geht, ist es, seine Fehler zu beschönigen oder kleinzureden. Es geht auch nicht darum, nicht mehr an sich zu arbeiten, Charakterfehler oder unpassende Verhaltensweisen einfach zu ignorieren. Sondern um einen entschieden ehrlichen, aber wohlwollenden Blick auf sich selbst. So ein Blick stellt Perfektionismus und Selbstvorwürfe erst einmal zurück. Man erlaubt sich, dass man so ist, wie man - nun ja - ist. So einen Blick, der die Waage zwischen Selbstannahme und realistischer Selbstwahrnehmung hält, empfinden viele Menschen als befreiend.
Taucht das auch in der Bibel auf? Ich glaube schon. Paulus schreibt in den bekannten Versen aus Römer 7: „Ja, wie ich handle, ist mir unbegreiflich. Denn ich tue nicht das, was ich eigentlich will. Sondern ich tue das, was ich verabscheue“ (Römer 7,15). Kennst du wahrscheinlich auch: Manchmal tut und denkt man, was man verabscheut. Fährt aus der Haut, lästert über Freundinnen oder Nachbarn, schwelgt in kindischen Rachefantasien oder lügt sich selbst und anderen in die Tasche. Paulus zeigt hier eine knallhart realistische Selbstwahrnehmung.
Doch mir fällt noch etwas anderes auf. Obwohl Paulus glaubte, dass alle Menschen vor Gott schuldig werden, vertritt er hier keine pessimistische Lehre von „vollkommener Verdorbenheit“. So eine Lehre droht häufig, in Selbsthass und Gesetzlichkeit auszuschlagen. Paulus beobachtet innere Zwiespältigkeit, Ambivalenz. Man tut, was man selbst verabscheut, und steht sich selbst mit Ratlosigkeit gegenüber. In anderen Worten: Du bist als Person nicht einfach identisch mit deinen niedrigsten, bösesten oder perversesten Gedanken.
Wenn ich mich mit der Goldenen Regel auf den Weg machen will, ist der Ausgangspunkt meine Beziehung zu mir selbst. Erst wenn ich mir selbst im vollen Bewusstsein meiner Begrenzungen, Fehler und Macken von Herzen Gutes wünschen und mich annehmen kann, so wie ich bin, kann ich das auch auf andere übertragen. Sonst wird aus der Goldenen Regel ganz schnell ein ungesundes Helfer-Syndrom.
In der hebräischen Weisheitsliteratur wird dieser Zusammenhang davon, wie ich mit mir selbst und mit meinen Mitmenschen umgehe, einmal so auf den Punkt gebracht: „Ein liebevoller Mensch achtet auf sich selbst. Grausame aber schneiden sich ins eigene Fleisch“ (Sprüche 11,17).
Impulse zum Weiterdenken
1. Wie gehst du mir dir selbst um, wenn sich Schwächen und Unzulänglichkeiten zeigen? Bist du gegenüber Freundinnen, Familie und Kollegen nachsichtiger als mit dir selbst?
2. In welchem Lebensbereich brauchst du diese Annahme? Versuche dich an einem ehrlichen, aber gnädigen Blick auf dich selbst und erzähle Gott davon. Bitte Gott um Annahme und Entkrampfung.
3. Beobachte dich einmal selbst. Wie viel machst du so in einer typischen Woche, was dir wirklich von Herzen gut tut? Welche Aktivitäten oder Momente zählen dazu und warum? Wie kannst du mit anderen so einen Moment teilen?
Scripture
About this Plan
Die Goldene Regel ist eine „Faustregel“ des Glaubens. Einfach genug, dass jeder sofort damit anfangen kann, sie in die Tat umzusetzen. Gleichzeitig ruht in ihr die Kraft, die Welt zu verändern. Wie du dich ganz persönlich mit der Goldenen Regel auf den Weg machen kannst - darum geht es hier. Zum Anhören und Selberlesen.
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