Gebet im Angesicht von Ungerechtigkeit  

Irgendwo werden Schüsse abgefeuert. Nur die Entladung eines Gewehrs. Jeder führt seine tägliche Arbeit fort. Ich beschliesse, auf dem Felsen zu bleiben, den ich mir fürs morgendliche Bibellesen ausgesucht habe. Die Geräusche des erwachenden Dorfes hier in Nordostafrika beruhigen mich stets. Heute nicht. Der laute Knall des AK47 liess etwas in mir aufbrechen, von dem ich bisher nicht einmal wusste, dass es sich tief in meiner Seele zusammenbraute. Auf einen Schlag überfluten mich Erinnerungen von dem, was ich in diesem Dorf und in anderen Orten gehört habe.

Die meisten Männer haben das Dorf verlassen, um zu kämpfen oder woanders Sicherheit zu finden. Nur die Frauen und Kinder sind zurückgeblieben. Als wir mit dem Hubschrauber ankamen, sahen wir überall dort, wo Hütten in Brand gesteckt worden waren, schwarze Flecken. Kinder spielen buchstäblich in der Asche ihres Hauses. Frauen in bunten Schleiern erzählen, wie Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt wird. Sie schätzen, dass Dreiviertel der weiblichen Bevölkerung vergewaltigt wurde. Eigentlich jede einzelne mit Ausnahme der älteren Frauen und der ganz kleinen Mädchen. Eine tiefe Wut und eine grosse Traurigkeit überkommen mich. Warum, Herr?

Erschüttert öffne ich meine Bibel dort, wo ich tags zuvor aufgehört hatte zu lesen. Psalm 73. Die Kraft und Realität dieses Gebets nehmen in diesem Moment ganz neue Dimensionen an und verändern meine Beziehung zu Gott für immer.