Nach dem Essen gingen die Brüder in ihre Unterkunft. Als sie fort waren, sagte Josef zu seinem Hausverwalter: »Füll jeden Sack mit so viel Getreide, wie sie tragen können. Dann leg heimlich bei jedem das Geld wieder hinein. Meinen silbernen Becher verstau in Benjamins Sack, zusammen mit seinem Geld!« Der Verwalter führte den Befehl aus.
Früh am nächsten Morgen ließ man die Brüder mit ihren voll bepackten Eseln wieder abreisen. Sie hatten gerade erst die Stadt verlassen, da befahl Josef seinem Hausverwalter: »Schnell, jag den Männern hinterher! Wenn du sie eingeholt hast, frag sie: ›Warum habt ihr dieses Unrecht begangen, obwohl ihr so gut behandelt worden seid? Warum habt ihr den silbernen Trinkbecher meines Herrn gestohlen, mit dessen Hilfe er die Zukunft voraussagt? Das ist ein Verbrechen!‹«
Der Verwalter eilte den Brüdern nach, und als er sie erreicht hatte, wiederholte er die Worte seines Herrn. »Warum beschuldigst du uns so schwer?«, fragten sie ungläubig. »Niemals würden wir das tun! Du weißt doch, dass wir das Geld zurückgebracht haben, das wir nach unserer ersten Reise in den Säcken fanden. Warum sollten wir jetzt Silber oder Gold aus dem Palast deines Herrn stehlen? Wenn du bei einem von uns den Becher findest, dann soll er sterben! Und wir anderen werden für immer deinem Herrn als Sklaven dienen!«
»Gut«, erwiderte der Verwalter, »aber nur der soll ein Sklave werden, bei dem der Becher gefunden wird, die anderen sind frei.« Hastig stellte jeder seinen Sack auf die Erde und öffnete ihn. Der Verwalter durchsuchte alle Säcke sorgfältig, er ging der Reihe nach vom Ältesten bis zum Jüngsten, und schließlich fand er den Becher bei Benjamin. Da zerrissen die Brüder ihre Kleider vor Verzweiflung, beluden ihre Esel und kehrten in die Stadt zurück.
Josef war noch in seinem Palast, als Juda und seine Brüder dort ankamen. Sie warfen sich vor ihm nieder. »Warum habt ihr das versucht?«, stellte Josef sie zur Rede. »Ihr hättet wissen müssen, dass ein Mann wie ich so etwas durchschaut!« Juda antwortete: »Was sollen wir jetzt noch zu unserer Verteidigung vorbringen? Es gibt nichts, womit wir uns rechtfertigen könnten. Gott hat eine Schuld von uns bestraft. Darum sind wir alle deine Sklaven – nicht nur der, bei dem dein Becher gefunden wurde!« »Nein, auf keinen Fall!«, entgegnete Josef. »Nur der ist mein Sklave, der den Becher gestohlen hat, ihr anderen seid frei und könnt unbehelligt zu eurem Vater zurückkehren!«
Da trat Juda vor und sagte: »Herr, bitte höre mich an! Ich weiß, dass man dir nicht widersprechen darf, weil du der Stellvertreter des Pharaos bist. Bitte werde nicht zornig, wenn ich es trotzdem wage! Herr, du hattest uns gefragt, ob wir noch einen Vater oder einen anderen Bruder haben. Wir antworteten: ›Wir haben einen alten Vater und einen Bruder, der ihm noch im hohen Alter geboren wurde. Er ist der Jüngste von uns. Sein Bruder ist gestorben. Ihre Mutter war die Lieblingsfrau unseres Vaters und hatte nur diese zwei Söhne. Darum liebt unser Vater den Jüngsten besonders!‹ Da hast du von uns verlangt, ihn herzubringen, um ihn mit eigenen Augen zu sehen. Wir entgegneten: ›Herr, sein Vater würde sterben, wenn er ihn verließe!‹ Du gingst nicht darauf ein und sagtest: ›Ohne ihn dürft ihr euch nicht mehr hier sehen lassen!‹ Wir kehrten zu unserem Vater zurück und erzählten ihm alles. Als er uns einige Zeit später aufforderte, wieder Getreide zu kaufen, antworteten wir: ›Das geht nur, wenn du unseren jüngsten Bruder mitkommen lässt. Sonst können wir dem ägyptischen Herrscher nicht unter die Augen treten!‹ Da sagte mein Vater zu uns: ›Ihr wisst doch, dass meine Lieblingsfrau nur zwei Söhne bekommen hat. Der eine ist verschwunden – ich habe ihn nie wieder gesehen. Sicher hat ein wildes Tier ihn zerrissen! Jetzt wollt ihr mir den anderen auch noch wegnehmen. Wenn ihm etwas zustößt, bringt ihr mich ins Grab!‹
Darum, Herr«, fuhr Juda fort, »wenn wir jetzt zu unserem Vater kommen ohne den Jungen, an dem er so hängt, dann wird er vor Kummer sterben – und wir sind schuld daran! Herr, ich habe bei meinem Vater die volle Verantwortung für den Jungen übernommen und gesagt: ›Wenn ich ihn dir nicht gesund zurückbringe, will ich mein Leben lang die Schuld dafür tragen!‹ Darum bitte ich dich, Herr: Lass mich an seiner Stelle als dein Sklave hierbleiben und lass ihn mit seinen Brüdern zurückziehen! Wie soll ich denn ohne den Jungen meinem Vater begegnen? Ich könnte seinen Schmerz nicht mit ansehen!«