Welchen Schluss sollen wir nun daraus ziehen? Ist Gott etwa ungerecht? Niemals! Er sagt ja zu Mose:
»Wenn ich jemand mein Erbarmen schenke,
tue ich es, weil ich Erbarmen mit ihm habe;
wenn ich jemand mein Mitleid erfahren lasse,
geschieht es, weil ich Mitleid mit ihm habe.«
Es liegt also nicht am Menschen mit seinem Wollen und Bemühen, sondern an Gott und seinem Erbarmen. Aus diesem Grund steht in der Schrift auch folgendes Wort, das Gott dem Pharao sagt: »Die Macht, die du hast, habe ich dir deshalb gegeben, weil ich an dir meine eigene Macht zeigen will und weil dadurch mein Name überall in der Welt bekannt werden soll.« Wir sehen also, dass Gott so handelt, wie er es will: Er lässt den einen sein Erbarmen erfahren, und er bewirkt, dass ein anderer sich ihm gegenüber verschließt.
Man wird mir jetzt entgegenhalten: »Warum zieht er uns dann noch zur Rechenschaft? Dem, was er beschlossen hat, kann sich ja doch niemand widersetzen!« So? Was bildest du dir ein? Du bist ein Mensch und willst anfangen, mit Gott zu streiten? Sagt etwa ein Gefäß zu dem, der es geformt hat: »Warum hast du mich so gemacht, ´wie ich bin`?« Hat der Töpfer nicht das Recht, über den Ton zu verfügen und aus ein und derselben Masse zwei verschiedene Gefäße zu machen – eines für einen ehrenvollen Zweck und eines für einen weniger ehrenvollen Zweck?
Und ´was sagst du dazu,` dass Gott die, die ´gewissermaßen` als Gefäße seines Zorns für das Verderben bereitgestellt sind, bisher mit so großer Geduld getragen hat? Er will zwar, dass man ´an ihnen die Auswirkungen` seines Zorns sieht und seine Macht erkennt. Andererseits will er aber auch, dass man erkennt, in welch reichem Maß er seine Herrlichkeit den Gefäßen seines Erbarmens schenkt – uns, für die er diese Herrlichkeit vorbereitet hat. Er hat uns dazu bestimmt, an ihr teilzuhaben, und hat uns auch berufen, nicht nur aus dem jüdischen Volk, sondern auch aus den anderen Völkern, wie er es im ´Buch des Propheten` Hosea sagt:
»Ich werde die mein Volk nennen,
die nicht mein Volk waren;
ich werde die meine geliebte Frau nennen,
die bisher ungeliebt war.«
»Gerade dort, wo zu ihnen gesagt wurde:
›Ihr seid nicht Gottes Volk!‹,
werden sie ›Söhne ´und Töchter` des lebendigen Gottes‹ genannt werden.«
Und Jesaja ruft im Hinblick auf Israel aus:
»Selbst wenn die Israeliten so zahlreich wären
wie der Sand am Meer,
wird doch nur ein kleiner Teil von ihnen
übrig bleiben und gerettet werden.
Denn was der Herr angekündigt hat,
das wird er ohne Einschränkung und ohne Verzögerung
auf der ganzen Erde ausführen.«
Was Jesaja hier über Israel vorausgesagt hat, sagt er auch an einer anderen Stelle. Es heißt dort:
»Hätte der Herr, der allmächtige Gott,
nicht einige von unserem Volk übrig gelassen,
dann wäre es uns wie Sodom ergangen;
es wäre mit uns dasselbe geschehen wie mit Gomorra.«
Welchen Schluss sollen wir nun daraus ziehen? Menschen, die nicht zum jüdischen Volk gehören, sind von Gott für gerecht erklärt worden, ohne sich darum bemüht zu haben. Sie haben die Gerechtigkeit empfangen, deren Grundlage der Glaube ist. Israel hingegen hat bei all seinem Bemühen, das Gesetz zu erfüllen und dadurch zur Gerechtigkeit zu gelangen, das Ziel nicht erreicht, um das es beim Gesetz geht. Und warum nicht? Weil die Grundlage, auf die sie bauten, nicht der Glaube war; sie meinten, sie könnten das Ziel durch ihre eigenen Leistungen erreichen. Das Hindernis, an dem sie sich stießen, war der »Stein des Anstoßes«, von dem es in der Schrift heißt:
»An dem Grundstein, den ich in Zion lege, wird man sich stoßen;
er ist ein Fels, an dem man zu Fall kommen wird.
Aber wer ihm vertraut,
wird vor dem Verderben bewahrt werden.«